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Der Freitag abend dauert normalerweise bis in den Samstag morgen hinein. So war es an einem Wochende im Mai zwei Uhr, als ich wirklich keine Kraft mehr hatte, noch irgend jemanden anzusprechen und Zeitungen gegen Spende für die sozialen Projekte anzubieten. Also ab zur U-Bahn, und wo gab es um die Zeit noch etwas zu essen?
Ein stark betrunkener junger Mann fragte mich nach der „Wohngemeinschaft“, sein Freund war weniger betrunken. Ja, gleich hier vorne – ich ging mit ihnen, las ihnen die Leviten, dem einen, er solle nicht soviel trinken, das sei uncool und er wirke so gar nicht attraktiv, dem anderen, er solle besser auf seinen Freund aufpassen. Schwule? Nein. Also welches Mädchen wollte denn so einen irren Betrunkenen? Es können eben nicht alle gleich viel Alkohol vertragen, man muss sich selber kennen. Manche haben viel mehr Enzyme für den Abbau von Alkohol, andere wie die Indianer oder Chinesen eben nicht, das ist doch keine Schande, so ist man eben. Ja, stimmt, er ist halber Uruguayer. Ich habe es mal wieder getroffen.
Ich erzähle noch von meinem Vater, der sich bemühte, in Kenntnis seiner Veranlagung nichts stärkeres als Bier zu trinken, und von seinem Bruder, meinem Onkel, der mit 45 schon an Leberzirrhose starb, weil er einen Laden hatte und morgens schon an den Schnaps ging.
Im Eifer bin ich zu weit mitgelaufen, nun muss ich zurück zum Inder in der Aachener Straße, der hat lange auf. Ja, es gibt noch eine große Pommes mit Mayo für 2 Euro 50. Ich musste während des Essens die Beine auf einen Stuhl legen, sie taten mir weh. Am Morgen war ich noch im Kloster Maria Regina bei Aachen gewesen, wo ich eine Frau hinbrachte, damit sie mal aufatmen konnte. Schweres Schicksal, Kind schmerzhaft gestorben, Streit in der Familie. Sie liebte den klösterlichen Frieden. Das geregelte Leben.
Die Glocke hatte um Viertel vor sechs gebimmelt. Dann hatte ich noch bis zum Mittagessen beim Fensterputzen geholfen. Es sind nur noch zwei Schwestern aktiv, und wie sollen sie das große Gebäude instand halten? Es kommen doch recht viele Gäste, und längst nicht alle können für einen Aufenthalt dort etwas bezahlen (besonders nicht die, die ich hinbringe), andere können keine Arbeit leisten.
Dann hatten wir noch in Stolberg eine angeblich psychisch kranke Frau besucht, die ich beim Street-work dort aufgesammelt hatte. Beim ersten Gespräch hatte sie sich in der Tat anfangs psychisch krank gebart. Aber nachdem ich mein Wort hielt und zum Termin kam, war sie eigentlich ganz normal. Wir begleiteten sie zu ihrer Mutter ins Altenheim, die sich über einen Prospekt vom Kloster freute und die Gesichter der heiligen Nonnen und Pater lange anschaute. Dann eilten wir noch zur Burg, und sahen unterwegs ca. 30 leerstehende Geschäfte zum Vermieten, aber auch leckeres Gebäck bei den Bäckern, man hatte den Wunsch nach Kuchen, aber kein Geld zum Ende des Monats, da es mit Hartz IV nie reicht, und so spendete ich gute 5 € von den 13, die ich am Vortag mühsam sammelte auf einem langen, langen Gang durch Stolberg, von dem ich noch einen Muskelkater in den Schienbeinen hatte. Die zwei Frauen wählten den mit ganz viel Obst auf Marzipan-bedecktem Boden, er war wirklich sehr lecker. Ich hatte die Bäckerei ausgesucht, sie duftete angenehm und hatte eine gute Ausstrahlung.
Wir hatten rasch gegessen, denn ich sollte rechtzeitig zur Kinderbetreuung in Köln sein. Als ich mich wegen einer Umleitung verirrte und die Mutter anrief, ich käme möglicherweise zu spät, sagte sie, sie hätte mir doch am Mittag eine SMS geschickt, ich bräuchte doch nicht zu kommen. Sie war so krank geworden, dass sie nicht arbeiten gehen konnte, und blieb dann selbst bei ihren Kindern. Also keine Kinderbetreuung, sondern Street-work mit Zeitungen. Das halbe Pfingstwochenende und die paar Tage im Kloster waren ja schon sündhaft, ich verdiente nichts außer den 13 €, während die Ausgaben der SILQ und die Schuldentilgung wegen der ganzen Mietkosten für alte Klamotten und Offene Türen und Fahrkosten zum Hausprojekt nach Aue/Erzgebirge und anderen Projekten mit wartenden Menschen und dergleichen nicht warten wollen. Der Freitagabend bringt am meisten Geld, den untätig auszulassen, wäre eine weitere Sünde.
Die vier Inder zwischen Kasse, Pizzabäckerei und Pommesfett guckten in die Röhre, sie konnten vor lauter Müdigkeit die Augen kaum noch offen halten, hielten sie aber doch angestrengt besonders weit offen, mit verzerrter Stirn und hochgehaltenen Augenbrauen, während die Lider doch schon nach unten neigten. Aber um Vermieter und Finanzamt zufrieden zu stellen, muss man oft viele Überstunden im eigenen Betrieb leisten. Um zwei Uhr wollten sie schließen, sie begannen, einige Lichter auszumachen. Aber ich könne mich noch hinsetzen. Ein Pärchen saß da auch noch, die Frau mit grün gefärbten Haaren fragte nach „Resten“. Der Inder brachte ihr den Überschuss meiner Pommes-Portion. Immerhin hatte sie doch Geld für die grüne Farbe für ihre Haare. Dann kamen noch zwei Blondinen – „Sie haben noch geöffnet?“ – ja, sie wurden auch noch am Tisch bedient. Man lässt ja niemanden hungern. Der eine Inder schien kurz vor dem Kollaps, der andere munterte ihn auf und brachte noch ein Lächeln zustande. Dann holten sie die große Pommesdarstellung herein. Mit müden Füßen wandte ich mich Richtung U-Bahn-Station Friesenplatz. Noch ganz schön weit.
Da stand an einer Ecke ein junger Mann, der offensichtlich in bedenklicher Weise akut alkoholgeschädigt war. Sein Körper war schon ausgekühlt, denn obwohl es nicht sehr kalt, aber doch ziemlich kühl war, hatte er den Kragen seines weißen Hemdes nach oben geschlagen, um sein Genick zu schützen, und er gab wiederholt ein kälteschauerndes „Brrrr“ von sich. Verwirrt war er in solchem Maße, dass er nicht mehr wusste, wo er war und wohin er wollte. Er stand einfach da wie in geistiger Umnachtung, wackelte hin und her, und haderte mit inneren Welten. An seinem Backenknochen war eine rote Schwellung und eine Hautabschürfung sichtbar. War er hingefallen, hatte er sich angestoßen, oder hatte ihn jemand geschlagen?
Ich konnte ihn nicht allein lassen, denn er war offensichtlich hilflos. In solchen Situationen erinnere ich mich an meinen Bruder, den seine „Freunde“ mal provozierten, er könne dieses Glas nicht „ex“ trinken, und der das dann machte. Anschließend versank er in einer Art Bewusstlosigkeit und irrte umher. Sie kümmerten sich nicht um ihn. Als er morgens in irgendeiner Wiese an einem Stacheldraht wieder zu Bewusstsein kam, erinnerte er sich dumpf daran, dass er an einigen Häusern geklingelt hatte, damit die Leute ihm helfen sollten, aber keiner hatte ihm geholfen! Das tut mir in der Seele weh. Nun ist jeder, der im Alkoholrausch hilflos ist, mein Bruder, der meine Hilfe braucht.
Schon als ich an der Uni in Saarbrücken studierte, fand ich nach einem Fest auf dem Nachhauseweg zum Studentenheim einen jungen Mann, der wankend und verwirrt im Gebüsch stand und sich die Socken ausgezogen und über die Hände gezogen hatte, weil er bereits auskühlte. Das war gefährlicher, denn es war im Winter und richtig kalt. Ich wusste, dass der Alkohol die Kapillaren weit macht und den Körper dazu bringt, seine Wärme leichtsinnig abzugeben, bis schließlich keine Reserven mehr da sind. Ich schleppte ihn damals mit in mein Studentenzimmer, obwohl er anfangs keine Hilfe annehmen wollte. Aber er konnte seine Gefährdung ja nicht mehr einschätzen, daher überredete ich ihn und zog ihn mit. Noch bevor ich ihm ein Bett machen konnte, war er auf dem Stuhl eingeschlafen. Morgens verschwand er dann ganz schnell und schämte sich wohl. Ich nehme an, er hatte auch ohne Vorwürfe eine Selbsterkenntnis gewonnen.
Ich sprach also den unglücklich brummenden Maikäfer im Kölner Zentrum an, und wie erwartet reagierte er erst mit ungläubiger Abwehr. Er hätte kein problème – oder doch ein problème. Weil er zwar Deutsch sprach, aber mir französischem Akzent, versuchte ich es auf Französisch. Aber da sprach er nicht drauf an. Ich versuchte es auch noch mit Englisch, aber das war auch nicht sein Ding. Deutsch konnte er offensichtlich am besten, und manchmal klang es sogar Deutsch.
Also wohin? So konnte er hier nicht stehen bleiben. Nein, in Köln wohne er nicht. Hotel? Warum Hotel? Doch, er hatte am Morgen ein Zimmer gebucht. Wo? Keine Ahnung! Keine Ahnung! Irgendwo hier in der Nähe. Eine Karte von dem Hotel? Nein, ja, vielleicht, nein, weiß nicht. Wie hieß das Hotel? Weiß nicht, keine Ahnung, öööh… nein, keine Ahnung.
Wir zockelten los, ich wollte ihn zumindest in die U-Bahn-Station bringen, damit er sich hinsetzen konnte, wo es nicht zu kalt war. Er schwankte hin und her über die ganze Breite des Bürgersteigs, Passanten mussten ihm ausweichen, ich hielt ihn manchmal fest. Und „Brrrr“ und wieder „Brrr“, er fror in dem dünnen Hemd und schüttelte sich vor Kälte, ich hatte dem Wetter entsprechend ein Unterhemd, einen Pullover und eine Jacke an.
Was war denn da, wo Sie das Zimmer buchten? Erinnern Sie sich an etwas? Vielleicht ein Restaurant? Bei dem Wort „Restaurant“ horchte er auf. Hunger, ja , ich muss etwas essen. Am Ring war noch Licht an einem Imbiss, Türken, sie beherrschen auch die Kunst, 16 Stunden am Tag zu arbeiten, um Opa Staat mit Steuern unter die Arme zu greifen. Denen sieht man es noch nicht mal an. Sie sind geduldig wie die Lämmer, sie machen einfach weiter, lange, lange, bis irgendwann ihre Kinder dann doch zu Kriminellen werden.
„Das sieht gut aus.“ – „ Bulgur,“ erkläre ich. „Weizen, sehr nahrhaft.“ Der Türke nickt anerkennend. Er will aber einen Döner machen, mit Bulgur drin. Ich wende ein, ein Alkoholkonsument wolle bestimmt auch Fleisch essen. „Mit viel Fleisch und mit Bulgur drin,“ verspricht der Türke, und etwas Salat tut er auch drauf. Scharfe Soße? Nein, nicht soviel! rufe ich noch, da hat er schon die Kelle drauf ausgeleert. „Wer bezahlt?“ Der junge Mann kann bezahlen, sage ich. Richtig eingeschätzt. Er verlangt noch eine Cola light. Für mich auch noch Wasser, einfaches Wasser. Konnte ich mir nicht leisten zu den Pommes, und es gab da auch keine Toilette, wo man vom Wasserhahn hätte trinken können. Ich arbeite ja billig, begnüge mich mit Wasser. 7 €, im Portemonnaie ist Geld.
Er will wieder raus in die Kälte, ich ziehe ihn nach hinten zum Essen, will rausfinden, ob er eine Karte von einem Hotel hat, sie beim Licht sehen. Wo ist die Cola light? Die ist aber noch nicht bezahlt. Noch 2 €. Die nutzen wohl einen Betrunkenen aus? Ich sage nichts, vermittle das Geld.
Er frisst sich in seinen Döner hinein. Soll ich ein Foto von ihm machen? Zur Dokumentation. Nicht, um einen Menschen bloßzustellen. Aber mein Handy ist voll, ich konnte das Kabel zum Übertragen auf Computer nicht finden. Ist alles schwierig, wenn man sich keine eigene Wohnung leisten kann. Also es stimmt wohl so, ich soll ihn nicht fotografieren, wäre doch wohl Ausnutzung seiner Hilflosigkeit, vielleicht ist er ein ganz feiner Mensch im normalen Leben. Wie mein Bruder.
Ich öffne seine Cola-Flasche, reiche sie ihm, als ob er mein Kind wäre, er nimmt es auch an, als ob ich seine Mama wäre. Ich duze ihn jetzt, bemerke es erst, nachdem ich es ausgesprochen habe. Passte halt so in die Situation. Dann fängt er an, sich zu schütteln, der Mund brennt ihm von der scharfen Soße. Ich trinke schnell ein paar Schlucke von meiner Wasserflasche, ich sehe es kommen, dass ich nicht viel davon abkriegen werde. Bald greift er nach meiner Wasserflasche, spült sich den Mund damit. Ich schimpfe mit dem Türken, ein Mann vom Rindertyp, er meint, seine Medikation wäre richtig, scharfe Soße würde gegen Alkohol helfen. Mein Baby muss die Hälfte seines Döner liegen lassen.
Dann scheint er mit seinem Magen zu ringen. Er wird doch hoffentlich nicht gleich alles wieder erbrechen!? Ich streiche ihm beruhigend über den Rücken. Nur Ruhe bewahren, der Magen wird es schon schaffen. Etwas Kalorien sind jetzt nicht falsch, abgesehen von der Schweinerei, wenn das Erbrochene hier am Boden und an seinen Kleidern kleben würde. Aber es war mehr die scharfe Soße, die ihm zu schaffen machte. Keine geschädigte Leber.
Eine Karte vom Hotel? Er kramt in seiner Tasche. Zieht ein Handy hervor. Schaut sich die Liste an. Anfangsbuchstabe H. Nein, kein Hotel. Andere Anfangsbuchstaben. Nichts. „Sind Sie Belgier?“ frage ich, weil die Namen flämisch sein könnten. „Nein, ich bin Norweger.“ Also, die Norweger lernen wie die Schweden – die können französisch reden – erst mal Französisch und dann Deutsch mit französischem Akzent?
Ja, er hätte am Morgen 20 € bezahlt für ein Zimmer. Nur 20 €? Das konnte doch kein Hotel sein. Vielleicht ein Hostel? Da kenne ich eins, das ist aber ziemlich weit weg. Nein, kein Hostel. Eine private Pension? Privat, ja, privat. Wo? Keine Ahnung!
Wir gehen raus, er schwankt Richtung Rudolfplatz, ist aber sichtbar etwas gestärkt. Rudolfplatz kennt er, ja. Wo geht es denn von hier aus hin? Taxi, er will ein Taxi nehmen. Aber was willst du dem Taxi-Fahrer sagen? Du weißt doch keine Adresse. „ Wenn der Taxifahrer mich sieht, weiß er.“ Wunschdenken oder Galgenhumor – irgendwo dazwischen, denn es gibt die vage Hoffnung, alles sei nur ein böser Traum, der sich einfach in Nichts auflösen würde. „ Ich muss jetzt dort hin, sonst kriege ich Ärger.“ „ Kannst du nicht anrufen?“ Er ruft jemanden an, keiner hebt ab. Es ist drei Uhr morgens.
Eine Karte mit Adresse? Er zieht aus seinem Portemonnaie eine gelbe Karte, wir gehen zum nächsten Taxi, ich habe keine Brille hervor geholt, um mir die Karte anzusehen, frage den Taxi-Fahrer, ob er damit etwas anfangen kann. Nein, kann er nicht. Außerdem hat er schon jemanden in der Leitung, wohl die Polizei, einer sagt über Lautsprecher, man solle einen Krankenwagen bestellen. Aber ich kenne die Wege solcher Einrichtungen. Viel Geld kassieren und nicht wirklich helfen, sondern eventuell die Probleme noch vergrößern. Der Taxifahrer verpasst eben einen Kunden, der im Taxi hinter ihm einsteigt, er jagt uns verärgert weg, auch er muss hart kämpfen, um Opa Staat und Oma Stadt und die Besitzer aller Dinge durchzufüttern und ihre Urlaubshotels zu finanzieren. Und die Passanten, die sich noch ein Taxi leisten können, werden immer seltener. Als ich mich später noch einmal dem Taxi nähere, um nur eine Frage zu stellen, drückt er auf’s Gas und flieht ein paar Meter weiter.
Mein Schützling meint, er muss etwas tun, er friert immer noch. Wir gehen wieder am Ring entlang. Ich muss ohnehin zum Friesenplatz. Da könnte er mit in die U-Bahn runter. Aber unterwegs betritt er den Burger King, lässt sich nieder. Sucht nochmal in seinem Handy. Ich nutze die Gelegenheit, zur Toilette zu gehen. Oben ist es sehr schön warm, während es unten kalt zur Tür herein zieht. Aber es wäre zu schwierig, den Betrunkenen die Treppe hinauf zu schleifen. Sein Pech.
O je, halb vier! Ich habe mein defektes Wohnauto auf einem Marktplatz stehen lassen. Ab vier Uhr können da schon Marktleute kommen, und mein Auto vielleicht abschleppen lassen. Das wäre peinlich, denn ich müsste mindestens 150 € blechen, die ich nicht habe, um meine Notschlafstelle und meinen Haushalt wieder zu bekommen.
Mein Schützling ist auf dem Stuhl eingeschlafen, sein Handy liegt vor ihm auf dem Tisch. Ich sage ihm, er soll sein Handy in die Tasche stecken, sonst würde es gestohlen. Er nimmt es in die Hand. Nein, in die Tasche, sonst fällt es dir aus der Hand! Er folgt der Aufforderung etwas später. Er schaut noch hinten in die Ecke, wo es weniger kalt wäre, aber er kann sich nicht aufrappeln. Ich helfe ihm auf die Bank gegenüber, ist vielleicht besser als der Stuhl. Der Rücken wird nicht so kalt.
Ich gebe dem jungen Mann noch ein „Heinzelmännchen“, die kleinste Kölner Zeitung im A7-Format. „Wenn du ein Problem hast, ruf mich an. Hier ist bis 6 Uhr geöffnet.“ (Arbeitsplatz für Neulinge in der Konsumwelt, die lieber das machen, als gar kein Geld zu haben). Ob sie ihn bis 6 Uhr sitzen lassen oder vorher rausschmeißen? Aber er weiß ja, dass er auch in die U-Bahn gehen kann. Bis dahin wird er etwas nüchterner sein.
„Wie heißt du denn?“ frage ich noch, bevor ich gehe. „Gunnar.“-„Tschüs, Gunnar, pass auf dich auf!“ (Ich kann es jetzt nicht mehr).
Kann jemand mich auf sein Monatsticket mitnehmen? Nur im Notfall opfere ich ein Feld auf meiner teuren Viererkarte. Ja, wir fahren bis … Ich muss noch etwas weiter. Ach, um die Zeit kommt keiner kontrollieren. Denkst du. Da hab ich aber andere Erfahrungen gemacht, die kommen zu jeder Tages- und Nachtzeit. Bis wieviel Uhr geht das eigentlich, dass man mitfahren kann? Ist doch fast wieder Morgen. Ach ja, es ist Wochenende, da geht das sowieso durchgehend.
Ein paar wenige, letzte Autos auf dem Marktplatz werden eben auch abgeholt. Vier Uhr ist letzte Eisenbahn, man hat schlechte Erfahrungen gemacht. „Wusch-wusch-wusch“ macht es am Rad oder sonstwo, aber bis dorthin, wo Fuchs und Hase sich Gutenacht sagen, muss das arme Auto es über sich ergehen lassen. Erst mal andere Schulden abbezahlen, bevor man an Reparatur denken kann. Der Entzug von Hartz IV hat einige Löcher geschlagen, von solchen Irreführern hält man lieber Abstand, wie von verderblichen Drogen.
Ob der Fuchs schon da war? Er sieht nicht gut aus, sein Fell ist ruppig, sein Schwanz unregelmäßig dünn behaart und ohne Stolz getragen. Ich möchte ihm nicht gerne begegnen, ohne das schützende Blech der Autokarosserie um mich. Füchse könnten Tollwut haben und beißen. Die Stadtkaninchen sind auch nicht immer ein gesundes Fressen, und der Müll der Menschen steht öfter auf dem Speiseplan. Die Hühner meines Bekannten aus dem Bauwagen sind schon alle, da war er schnell durch.
Noch mein Bett machen, auf Eindämmung von Milben achten, also einige Decken und Kissen nicht aus der Plastiktüte packen, wo ist das Ölfläschchen von dm, zum duftenden Öl etwas Wasser auf die Hand, verreiben, und auf die Pobacken, hab bei der Gartenarbeit im Klostergarten neben der Kuhwiese und dem Kompost wieder Grasmilben erwischt, eine Pobacke ist noch ganz rot. Ob die Gelenkschmerzen und die allgemeindeutschen Rückenprobleme von daher kommen? Kühe mit Rheuma und Grasmilben, Mäuse am Müll und mit Mäusemilben … Rheuma durch Yersinien über die Milben und die von Milben gebissenen Schweine, deren Fleisch von Yersinien strotzt …? Wen interessiert’s, Millionen genießen ihre Rückenschmerzen und fühlen sich damit einzigartig und super- wichtig, indem sie tapfer ignorieren, dass die Hälfte der Bevölkerung eine genauso wichtige „angeborene“ oder gar „erblich bedingte“ Rücken-und Gelenkskrankheit hat, Hunderttausende verdienen sich dumm und dämlich an der Rückenschmerz- Mode, welche durch die Gen-Mode gut abgesichert ist und langfristige ökonomische Perspektiven erlaubt.
Wieviele Stunden sind das eigentlich, von morgens sechs bis morgens halb fünf? Zum Glück ist nicht jeder Tag ein solcher Marathontag. Ich würde es natürlich nicht überleben. Aber wenn Not am Mann ist, kann ich das Schlafen erst mal aufschieben.
Morgen werden wieder Leute sagen: „Nein, 10 Cent können wir nicht spenden. Wir haben selber nichts, und wir spenden bei uns zu Hause.“ (Was haben wir mit den Kölnern zu tun? Und das ist doch wohl nur eine Zigeunerin, die ohnehin unsere Steuern von fünf Sozialämtern gleichzeitig kassiert.)
Danke schön für Dein Vertrauen und für Deine Geduld, diesen absolut wahren Bericht zu Ende gelesen zu haben! Schon öfter hatte ich solche Marathon-Tage und dachte daran, sie aufzuschreiben. Es waren Tage, an denen ich nach dem Trödelmarkt noch zu einem Obdachlosen ins Krankenhaus fuhr, weil ich ihn dorthin gebracht hatte, und weil er ohne meine Präsenz vielleicht euthanasiert worden wäre, was ich bei meinen frühen Erfahrungen ja mit angesehen hatte, und wenn ich dann abends spät noch ins Lager fuhr, um einem anderen Obdachlosen eine Isomatte und Daunendecke zu bringen, weil für die Nacht Frost gemeldet war, und er mit einer dünnen Wolldecke auf dem Betonboden lag … Und am nächsten Morgen musste ich um 6 Uhr aufstehen, um Gemüse abzuholen, weil sich 5 Jahre lang absolut keiner fand, der einmal für meine kleine und unwichtige Organisation gefahren wäre. Später fanden sich auch nur ganz wenige.
Ich dachte daran, solche Tage zu dokumentieren, aber ich hatte lange keinen Computer, bis Herr Schreiber aus Nippes mir einen schenkte, und dann bekam ich weitere geschenkt, die mehr Speicherplatz hatten. Aber dann hatte ich meist auch zu wenig Zeit, um mich zum Schreiben hinzusetzen. Und dann konnte ich meinen Computer wieder nicht nutzen, weil ich keine Wohnung hatte. Weil keiner mitmachte bei der Finanzierung der Räume der SILQ, weil keiner in einem Verein mitarbeiten und über die Finanzierung der SILQ nachdenken wollte, und weil mein Einkommen zu gering ist und es mit dem Sozialamt nicht klappen kann, weil ich keine Zeit habe für einen 1€-Job und ein Projekt in New York begann, weswegen man sich weigerte, mir weiterhin ein Grundeinkommen zu zahlen. Ich soll meine soziale Arbeit gewinnbringend organisieren, oder lassen, meinen die Herren im Büro.
Da mir aber jemand einen Laptop schenkte und ich mich nach diesem eben beschriebenen Tag sowieso vorerst nicht regen konnte, schrieb ich den Bericht gleich am nächsten Mittag. Bevor ich wieder losziehe, Zeitungen für den Abend kopieren, Gebäck abholen, das am Samstag abend hinter der Theke bleibt, und das ich verteilen darf dafür, dass ich umsonst etwas zu essen habe, und wieder bis Mitternacht herum zu laufen beim selbstfinanzierten Street-work.
Selbstfinanziertes Street-work - heute scheint das in Deutschland noch komisch, aber in England und Amerika haben manche Kirchen und Selbsthilfe-Organisationen schon lange ihre eigenen Street-worker, und demnächst wird das eine allgemein übliche Form sozialer Arbeit sein. Irgendeiner muss ja den verächtlich liegen gelassenen „Menschenmüll“ einsammeln. Die meisten wollen sich nur mit Geld frei kaufen.
Ich saniere die Menschen, die man dem Müll zurechnete, und damit auch Deine Umwelt, lieber Leser, von Krätzmilben, Läusen und sonstigen Parasiten an ungewaschenen Menschen, von Krankheitserregern, von kriminellen Psychoten und Suchtkranken. Ich ermögliche Dir, von der Romantik der Armen und Obdachlosen zu träumen. Deren Leben wäre sehr unromantisch und schmerzlich und würde Dir schlechtes Karma einbringen, wenn es keine helfenden Hände und keine warmen Herzen gäbe.
Ich mache keine Show an Weihnachten, ich bringe meine Obdachlosen vorher in würdige Lebensumstände, und ich bin im Januar und Februar und das ganze Jahr auch noch da und bei denen draußen und drinnen. Ich begleite Menschen in schwierigen Lebenssituationen, wenn die Familie es nicht schafft oder keine Familie da ist. Ich vermittle Menschen an eingesessene Einrichtungen, und helfe ihnen mit Erfahrungen aus meiner Feldarbeit und meiner Forschung im Internet auf die Sprünge. Bei alledem treffe ich alle auf gleicher Augenhöhe. Ich gehe mit jedem in seine Situation hinein. Wir sind einfach Freunde, Angehörige einer großen Menschenfamilie.
Ich arbeite unabhängig von Bankenkrisen, Staaten- und Städtebankrott. Ich bin von Natur aus eine Pionierin. Das ist mir echt angeboren. Ich lebe in Deiner Zukunft und ermögliche Dir so, in die Zukunft zu schauen. Damit Du vor dieser keine Angst wegen Unberechenbarkeit hast. Ist das nicht nett?
Marianne
P.S. An diesem Marathontag vergaß ich, dass es der Geburtstag von Sam war, und ich ihm keine e-mail geschrieben hatte. Er ist meine Verbindung zu Amerika, da er mich fand, als er auf Mission in Europa war. Ich studierte auch seine Religion durch, wie ich viele andere Religionen kennen lernte, aber auf diese, die Mormonen, ließ ich mich etwas intensiver ein. Es sammelt sich bei ihnen der Stamm Josef, insbesondere Ephraim, intelligente und sensible Menschen, aber auch suchtbegabt, daher wird ihnen empfohlen, Alkohol, Tabak und sogar Kaffee zu meiden. Das entsprach längst meinen Lebensgewohnheiten.
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